Lukas 5,33-39 – Wir feiern gemeinsam, dass Jesus bei uns ist
Bibeltext (BasisBibel)
33
Darauf sagten die Pharisäer und Schriftgelehrten zu Jesus: »Die Jünger von Johannes fasten regelmäßig und sprechen ihre Gebete. Genauso machen es unsere Jünger. Aber deine Jünger essen und trinken.«34
Jesus antwortete ihnen: »Wollt ihr etwa die Hochzeitsgäste fasten lassen, solange der Bräutigam bei ihnen ist?35
Es wird aber eine Zeit kommen, da wird ihnen der Bräutigam weggenommen. In dieser Zeit werden sie fasten.«36
Jesus erzählte ihnen noch ein Gleichnis: »Niemand schneidet Stoff von einem neuen Mantel ab und näht ihn auf einen alten. Sonst zerschneidet er den neuen Mantel, aber der Flicken passt nicht zu dem alten.37
Und niemand füllt neuen Wein in alte Weinschläuche. Sonst bringt der neue Wein die alten Schläuche zum Platzen. Der Wein läuft aus, und die Schläuche werden unbrauchbar.38
Nein: Neuer Wein gehört in neue Schläuche.39
Und niemand, der alten Wein getrunken hat, will neuen Wein haben. Denn er sagt: »Der alte ist besser.«
Predigt
Jesus wird beobachtet. Jesus wird von seinen Jüngern beobachtet. Schließlich wollen sie von Jesus lernen. Aber auch die religiösen Führer beobachten Jesus. Sie haben Fragen an Jesus. Sie äußern auch Kritik.
Jesus war mit seinen Schülern zu Gast bei Levi. Levi war ein Zöllner. Zöllner arbeiteten mit den römischen Besatzern zusammen. Zöllner bereicherten sich auf Kosten der übrigen Bevölkerung. Deshalb galten Zöllner als Sünder und als Verräter.
Levi hatte noch viele andere Zöllner eingeladen. Jesus und seine Jünger saßen also mitten unter Verrätern und Sündern. Das war zumindest der Eindruck der Pharisäer. Sie stellten die Jünger von Jesus zur Rede. Jesus gab eine Antwort auf die Vorwürfe der Pharisäer:
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… »Nicht die Gesunden brauchen einen Arzt, sondern die Kranken.32
Ich bin nicht gekommen, um die Gerechten aufzurufen, ihr Leben zu ändern, sondern die Sünder.« (Lukas 5,31-32)
Damals gab es für die breite Bevölkerung noch keine Gesundheitsvorsorge. Nur wer krank war, brauchte einen Arzt. Jesus vergleicht seine Sendung mit der Aufgabe eines Arztes. Es gibt Menschen, die wissen, dass sich ihr Leben ändern muss. Um solche Menschen kümmert Jesus sich.
Die Zöllner standen am Rande der Gesellschaft. Auch der Zöllner Levi hatte keinen guten Ruf. Aber Jesus ließ sich von Levi einladen. Jesus und seine Jünger waren bei Levi und vielen anderen Zöllern. Am Ende wurde Levi ein Schüler Jesu. Levi folgte Jesus nach, um von Jesus zu lernen.
Die Pharisäer waren noch nicht zufrieden mit der Antwort, die Jesus ihnen gegeben hatte. Jesus war oft bei zweifelhaften Menschen zu Gast. Ein guter Pharisäer hingegen fastete jeden Montag und jeden Donnerstag (Lukas 18,12). Warum ließ Jesus sich ständig zum Essen einladen? Jesus war ja geradezu ein Vielfraß und ein Säufer! (Lukas 7,34) Also stellten die Pharisäer Jesus eine Frage. Mit dieser Frage startet unser heutiger Textabschnitt.
»Die Jünger von Johannes fasten regelmäßig und sprechen ihre Gebete. Genauso machen es unsere Jünger. Aber deine Jünger essen und trinken.« (Vers 33)
Johannes der Täufer hatte eine neue Bewegung gestartet. Johannes rief die Menschen dazu auf, Buße zu tun. Buße bedeutet Umkehr. Menschen hörten von Johannes, dass sie ihr Leben ändern sollten. Die Schüler von Johannes fasteten daher regelmässig. Sie nutzten diese Zeit, um zu beten.
Auch die Pharisäer und deren Schüler fasteten regelmässig. Sie wollten damit zeigen, dass sie ernsthaft für Gott dasein wollten.
Doch Jesus und seine Schüler waren ständig irgendwo zu Gast. Sie schienen keine Gelegenheit für eine Mahlzeit auszulassen. Nahmen sie denn ihren Beziehung zu Gott nicht ernst?
An dieser Stelle möchte ich Gedanken zu dem Thema “Fasten” einschieben. In der jüdischen Bibel, im Alten Testament, finden wir einige Beispiele für Menschen, die fasteten. Durch das Fasten möchten Menschen Gottes Barmherzigkeit bekommen. Durch das Fasten möchten Menschen Gottes Erbarmen hervorrufen. Die Hoffnung ist also, dass Gott durch das Fasten gnädig gestimmt werden kann. Das Fasten ist auch eine Möglichkeit, Reue zu zeigen. In diesem Zusammenhang wird das Fasten zu einer Möglichkeit, von Gott die Vergebung der Sünden zu bekommen. Dabei steht das Fasten nie für sich allein. Das Fasten gehört immer in den Zusammenhang des Gebets. (2. Samuel 12,16-23; Joel 2,12-16; Jona 3,4-10; Nehemia 9,1-2)
Jesus antwortet den Pharisäern mit einem Vergleich: “Wollt ihr etwa die Hochzeitsgäste fasten lassen, solange der Bräutigam bei ihnen ist?” Jesus denkt an eine Hochzeit. Die Hochzeitsgäste feiern zusammen mit dem Brautpaar. Jesus vergleicht sich selbst mit dem Bräutigam. Die Jüngerinnen und Jünger Jesus sind die Hochzeitsgäste. Es ist ganz normal, dass bei einer Hochzeitsfeier miteinander gegessen wird. Schließlich ist eine Hochzeit normalerweise eine fröhliche Angelegenheit!
Allerdings ergänzt Jesus noch etwas. Die Feier wird nicht ewig so weitergehen. “Es wird aber eine Zeit kommen, da wird ihnen der Bräutigam weggenommen. In dieser Zeit werden sie fasten.” Auf welche Zeit bezieht Jesus sich hier?
Jesus könnte hier von der Zeit nach seiner Himmelfahrt sprechen. Schließlich ist Jesus in den Himmel aufgefahren, und sitzt dort zur Rechten Gottes. Jesus ist nicht mehr da. Die Zeit, bis Jesus wiederkommt, wäre also für Nachfolgerinnen und Nachfolger Jesu eine Zeit des Fastens. Gehen wir diesem Gedanken doch einmal nach.
In der jüdischen Bibel ist das Fasten eine Möglichkeit, Reue zu zeigen und von Gott Barmherzigkeit und Vergebung zu bekommen. Als Schülerinnen und Schüler von Jesus wissen wir jedoch, dass Jesus Christus uns vergibt. Weil Gott uns vergibt, leben wir. Wir wissen, dass Gott barmherzig ist. In dieser Hinsicht müssen wir nichts mehr erreichen. Gott ist uns nicht deshalb gnädig, weil wir regelmässig fasten würden. Gott ist uns gnädig, weil Gnade zu Gottes Wesen gehört. So hat Jesus uns den Vater vorgestellt.
Wenn wir also fasten sollen, dann muss das Fasten eine neue Bedeutung bekommen. Tatsächlich redet Jesus in den nächsten Versen von alten Dingen und von neuen Dingen. Das Alte passt nicht zu dem Neuen.
Stell Dir mal vor, Du hättest einen alten Mantel, aber Du hättest auch einen neuen Mantel. Den alten Mantel ziehst Du an, wenn Du in den Wald gehst. Den neuen Mantel ziehst Du an, wenn Du in die Stadt gehst. Jetzt stellst Du fest, dass der alte Mantel ein Loch hat. Würdest Du dann aus dem neuen Mantel ein Stück heraus schneiden, um damit den alten Mantel zu reparieren? Nein, sicher nicht. Ein guter Schneider könnte aus dem alten Mantel eine Jacke machen. Dann bleibt sogar Stoff übrig, mit dem man Löcher reparieren kann. Aber den neuen Mantel würde niemand zerschneiden.
Achtet bitte auf eine Sache: Jesus sagt hier nicht, dass ein neuer Mantel besser ist als ein alter Mantel. Das Alte ist alt, und das Neue ist neu. Der neue Stoff ist ein vollständig neuer Mantel. Der neue Mantel ist nicht als Flicken für die Unzulänglichkeiten des Alten gedacht.
Die gute Nachricht ist, dass Gott allen Menschen gnädig ist und ihnen neues Leben schenken will. Diese gute Nachricht könnte der neue Mantel sein. Wie würde es aussehen, wenn die Gute Nachricht, das Evangelium, nur den alten Mantel flicken sollte? Gott ist allen Menschen gnädig. Das Fasten und die Opfer aus dem Sinai-Bund sind also nicht mehr nötig, denn an Gottes Gnade gibt es keinen Zweifel. Trotzdem wäre das Evangelium damit missverstanden. Denn in Wirklichkeit bessert die Gute Nachricht nicht nur die Unzulänglichkeiten des Alten aus. Die Gute Nachricht bringt einen völlig neuen Ansatz mit sich.
Tatsächlich predigt Jesus einen ganz neuen Ansatz. Jesus redet von Gott als dem Vater, der unser Herz kennt. Das Wort “Herz” (καρδία – kardia) begegnet uns im Lukas-Evangelium und in der Apostelgeschichte besonders häufig. Lukas hat beide Bücher verfasst. Der alte Mantel besteht aus Regeln und Gesetzen, an die sich alle halten sollen. So dachten auch die Pharisäer. Das Fasten war für sie Teil eines Systems. Doch Jesus sprengt dieses starre System. Gott verbindet sich in seiner Gnade mit dem einzelnen Menschen. Gott erneuert die innere Ausrichtung eines Menschen. Der neue Mantel ist das erneuerte Herz eines Menschen. Das Herz als Sitz unserer Werte und Vorstellungen wird von Gott erneuert. Damit ist der neue Mantel viel mehr als nur ein Flicken für etwas Altes. Der neue Mantel kleidet uns vollständig und gut. Denn wenn Gott unsere innere Ausrichtung erneuert, brauchen wir keine Regeln und Gesetze mehr. Wir werden auch so das Richtige tun.
Zum Thema des Fastens finden wir im Matthäus-Evangelium noch mehr Gedanken. Jesus ordnet das Fasten hier ein in unsere persönliche Beziehung zu Gott. Wer mit der Ausübung seines Glaubens vor anderen Menschen glänzen will, ist auf einem falschen Weg. (Matthäus 6,16-18)
Jesus bringt in unserem Text noch ein weiteres Beispiel. Jesus spricht von Wein, der in Schläuchen aufbewahrt wird. Wenn eine Ziege geschlachtet wurde, hat man ihr das Fell möglichst in einem Stück abgezogen. Das Fell wurde mit Salz eingerieben, gründlich gereinigt und gegerbt. Unnötige Öffnungen wurden vernäht. In dem so entstandenen Schlauch konnte Wasser, Milch oder Wein aufbewahrt werden. Doch alte Schläuche werden rissig. Offensichtlich macht neuer Wein einen alten Schlauch vollends kaputt. Am Ende hat man keinen Wein mehr. Der alte Schlauch wird auch unbrauchbar. So ein Ergebnis kann niemand brauchen. Deshalb gehört neuer Wein in neue Schläuche. Die Gute Nachricht, das Evangelium, braucht auch einen neuen Rahmen. Der alte Rahmen mit seinen Regeln und Gesetzen ist zu starr für das Evangelium.
Allerdings gesteht Jesus den Pharisäern zu, dass ihnen ihr altes System lieber ist. Das jedenfalls ist meine Interpretation von Vers 39. Ich habe lange darüber nachgedacht. Die Gute Nachricht von der Gnade ist ein Angebot Gottes an die Menschen. Auch wenn diese Nachricht von Gott kommt, so bleibt es doch eine Nachricht. Mancher will eben nichts Neues hören. Hier liegt auch die Grenze unseres Textes. Jesus stellt klar, dass Alt und Neu nicht miteinander vermischt werden können. Alt gehört zu alt, und neu gehört zu neu. Der Bräutigam ist da, deshalb wird gefeiert. Das ist es, was Jesus den Pharisäern vermitteln wollte. Dieser Text hat nicht das Anliegen, Altes schlecht zu machen. Das Neue muss aber neu gedacht werden. Das Neue lässt sich nicht in Regeln und Gesetze fassen wie das Alte.
Ich möchte noch auf den Vers 35 zurückkommen: “Es wird aber eine Zeit kommen, da wird ihnen der Bräutigam weggenommen. In dieser Zeit werden sie fasten.” Noch einmal stelle ich die Frage: Auf welche Zeit bezieht Jesus sich hier? Bezieht Jesus sich auf die Zeit nach seinem Weggang? Dann leben wir jetzt gerade in dieser Zeit. Denn Jesus ist in den Himmel aufgefahren. Wir sind also wie Hochzeitsgäste ohne Bräutigam. Oder was will Lukas uns hier sagen?
Es gibt auch eine andere Möglichkeit, diesen Text zu verstehen. Jesus sagt ja, dass den Hochzeitsgästen der Bräutigam weggenommen wird. Jesus könnte sich damit auf Karfreitag beziehen. Tatsächlich hat der Tod Jesu die Jüngerinnen und Jünger Jesu traurig gemacht. Ob sie in dieser Zeit gefastet haben, wird uns nicht ausdrücklich berichtet. Aber dann ist Jesus auferstanden. Was berichtet uns Lukas in diesem Zusammenhang?
Zunächst sind die Jünger verwirrt. Die Jünger glauben die Nachricht von der Auferstehung von Jesus nicht. Dann jedoch begleitet Jesus zwei Jünger auf ihrem Weg nach Emmaus. Sie erkennen Jesus, und sagen sich:
32
»Brannte unser Herz nicht vor Begeisterung, als er unterwegs mit uns redete und uns die Heilige Schrift erklärte?« (Lukas 24,32)
Danach trifft Jesus alle Jünger auf einmal, und gibt sich ihnen zu erkennen. Gleich danach wird uns von Jesu Himmelfahrt berichtet. Das Lukas-Evangelium endet damit, dass die Jünger voller Freude sind:
52
Sie (die Jünger) fielen zu Boden und beteten ihn (Jesus) an. Dann kehrten sie voller Freude nach Jerusalem zurück.53
Sie verbrachten die ganze Zeit im Tempel und lobten Gott. (Lukas 21,52-53)
Am Ende des Lukas-Evangeliums verhalten sich die Jünger nicht wie Leute auf einer geplatzten Hochzeitsfeier, wo plötzlich der Bräutigam weg ist. Die Freude bleibt den Jüngern erhalten, obwohl Jesus in den Himmel aufgefahren ist. Diese Linie der Freude setzt sich fort, denn die Botschaft der Jünger bekommt den Namen: Die gute Nachricht - das Evangelium.
In unserem Alltag haben wir also keine festgelegten Fastenzeiten. Wenn jemand fastet, dann ist dies Teil ihrer oder seiner persönlichen Beziehung zu Gott. Wir leben in der Gewissheit, dass Jesus Christus lebt. Das feiern wir. Deshalb treffen wir uns zum Gottesdienst und singen gemeinsam. Deshalb hat unser Gemeindehaus auch eine Küche, denn gemeinsames Essen stärkt unsere Gemeinschaft. Jesus Christus ist bei uns, durch seinen Geist, der in uns ist.
Martin Pusch – Predigt gehalten am 12. Januar 2025.