Lukas 13,18–21 – Wachsen und sich entwickeln: Das ist Gottes Reich
Bibeltext (BasisBibel)
18
Dann sagte Jesus: »Wie ist es mit dem Reich Gottes? Womit soll ich es vergleichen?19
Es gleicht einem Senfkorn: Ein Mann nahm es und säte es in seinem Garten ein. Es ging auf und wurde zu einem Baum. Und die Vögel bauten ihr Nest in seinen Zweigen.«
20
Noch einmal fragte Jesus: »Womit soll ich das Reich Gottes vergleichen?21
Es gleicht einem Sauerteig: Eine Frau mengte ihn unter drei Säckchen Mehl. Am Ende war der ganze Teig durchsäuert.«
Predigt
Alle Gleichnisse, die Jesus erzählt, haben mit dem Reich Gottes zu tun. Doch jedes Gleichnis beleuchtet ein anderes Detail von Gottes Reich. Manchmal geht es um unsere eigene Haltung. Hängen wir von unserem Besitz ab? Denken wir daran, dass wir alles Gott verdanken? Sind wir großzügig mit anderen? Schließlich ist Gott auch mit uns großzügig. Wir lernen durch die Gleichnisse, wie Gott mit uns umgeht. Gott schenkt uns sein Reich. Unser Herr dient uns. Durch uns hindurch wirkt Gott in dieser Welt.
In unserer westlichen Tradition neigen wir dazu, Begriffe mit Bedeutung aufzuladen. Ein Begriff steht für eine Idee oder ein Konzept. Doch Jesus stellt hier nicht einen Begriff in den Vordergrund. Jesus nutzt Bilder. Diese Bilder dienen nicht nur der Illustration. Die Bilder sollen nicht einfach nur Gedanken vermitteln, und haben dann ausgedient. Nein, sondern die Bilder selbst sind die Botschaft.
Ich versuche, ein Beispiel zu geben. Manchmal fragen sich Menschen, ob Gott denn nun männlich oder weiblich sei. Die Antwort finden wir in Form von Bildern. Das prominenteste Bild sind wir selbst. Wir sind Bilder Gottes. Aber wir sind nicht alle gleich. Wir unterscheiden uns voneinander. Bedeutet dies nun, dass Gott weder männlich noch weiblich ist? Bedeutet dies, dass Gott beides zur gleichen Zeit ist? Unser Problem ist, dass wir uns von dem Bild entfernen. Wir ersetzen das Bild durch Begriffe. Was wir nicht eindeutig in Worte fassen können, lässt uns ratlos zurück.
Gehen wir also zurück zu dem Bild! Die Menschheit ist ein Bild Gottes. Leider ist dieses Bild nicht mehr so deutlich zu erkennen. Es ist eindeutig das echte Bild. Aber dieses Bild muss restauriert werden. Eine dunkle Schicht liegt über dem Bild. Das Bild hat seine strahlenden Farben und seine Fülle an Details verloren.
Jesus stellt nun dieses Bild wieder her. Jesus selbst ist Mensch. Als Mensch ist Jesus ein Bild Gottes. Gleichzeitig ist Jesus der Sohn Gottes. Jesus kennt seinen Vater. Jesus redet mit seinem Vater. Jesus gehorcht seinem Vater. Die Menschheit ist ein Bild Gottes. Jesus stellt die strahlenden Farben dieses Bildes wieder her. Jesus macht Details erkennbar, die wir schon längst nicht mehr sehen konnten. Deshalb redet Jesus in Bildern. Jedes Gleichnis arbeitet weitere Details heraus. Wir können immer wieder zu diesen Bildern zurückkommen und sie betrachten. Wenn wir uns durch sie verändern lassen, werden wir selbst als Abbild Gottes immer deutlicher erkennbar.
Heute haben wir zwei kleine, kurze Bilder vor uns. Jesus nutzt diese Bilder als Vergleich für das Reich Gottes. Ein Mann nimmt ein Senfkorn und sät es in seinem Garten aus. Eine Frau nimmt Sauerteig und mischt ihn unter eine bestimmte Menge Mehl.
Sowohl der Mann als auch die Frau stehen als Bild für Gott. Ist Gott männlich? Ist Gott weiblich? Jesus stellt hier zwei Bilder nebeneinander. Beide Gleichnisse laufen parallel zueinander. Aber es gibt auch Unterschiede. Sehen wir uns die Details an.
Beide Bilder entstehen aus dem damaligen Alltag. Viele Familien hatten einen Acker. Sie hatten auch einen Garten oder einen Weinberg. So ein Garten muss nicht zwingend direkt neben dem Haus sein. Damals waren Städte eher eng und von einer Stadtmauer umgeben. Der Mann kümmert sich um den Garten da draußen. Die Frau gestaltet das Leben im Haus. Rollen können sich ändern. Jesus spricht die Zuhörerschaft seiner Zeit an. Beide Bilder sind gültig. Beide Bilder sind nötig. Hätten wir nur eines der Bilder, würde etwas fehlen (Markus hat nur das erste Gleichnis: Markus 4,30-32).
Der Mann sät das Senfkorn aus. Hier liegt der Fokus auf einem kleinen Samenkorn. Auch der Vorgang der Aussaat ist relativ überschaubar. Vielleicht muss der Mann ab und zu kommen und gießen. Vielleicht steckt er einen Stock in den Boden, um sich zu merken, wo das Samenkorn liegt. Ansonsten wird sich der Mann anderen Dingen zuwenden. Er hat getan, was nötig ist. Wachsen wird das Samenkorn von allein.
Die Frau hingegen hat mehr Arbeit. Aber es sind gewohnte Handgriffe. Denn backen muss man immer wieder neu. Die Frau knetet den Sauerteig vom letzten Mal unter das Mehl für heute. Dann stellt sie den Brotteig an einen warmen Ort. So kann der Sauerteig seine Arbeit tun.
Das Reich Gottes wird in einem langfristigen Vorgang abgebildet. Ein Mann sät ein Senfkorn aus. Das Reich Gottes wird aber auch in einem ständig wiederkehrenden Vorgang abgebildet. Eine Frau knetet Mehl und Sauerteig zusammen.
Das Reich Gottes gleicht dem Senfkorn. Am Ende steht ein Baum da. Das ursprüngliche Senfkorn wird man nicht mehr finden können. Das Senfkorn ist zum Baum geworden.
Das Reich Gottes gleicht einem Sauerteig. Ein Mehlteig wird durch den Sauerteig verbessert. Der Sauerteig sorgt für eine gute Verdaulichkeit. Der Geschmack und das Aroma gewinnen. Die Backwaren sind länger haltbar. Am Ende haben wir immer noch Sauerteig. Aber die gesamte Menge ist größer geworden. Ein Teil davon wird für die nächste Runde aufbewahrt.
Bei dem Baum, der aus dem Senfkorn entsteht, redet Jesus nicht von einem Kreislauf. Man könnte ja denken, dass neue Senfkörner entstehen, die man wieder aussäen kann. Nein, sondern hier passiert etwas völlig Neues. Vögel kommen und bauen ihr Nest in den Zweigen des Baumes. War dies der eigentliche Zweck des Baumes? Wahrscheinlich nicht. Trotzdem schafft der Baum ganz nebenbei neue Möglichkeiten. Die Vögel profitieren davon.
Jesus vergleicht das Reich Gottes mit einem Senfkorn, aber auch mit Sauerteig. Die Vorgänge, die Jesus beschreibt, laufen auf den ersten Blick parallel ab. Doch dann fallen uns viele Unterschiede auf.
Der Sauerteig ist in einen kontinuierlichen Vorgang eingebunden. An jedem Backtag wiederholt sich das Bild. Die Frau nimmt Sauerteig und mischt ihn unter das Mehl. Der Sauerteig durchsäuert den ganzen Teig. So ist das Reich Gottes.
Das Senfkorn wird zu einem Baum. Auch hier besteht die Möglichkeit, dass neue Senfkörner neue Bäume ergeben. Aber Jesus entwickelt das Bild in eine andere Richtung: Vögel bauen ein Nest in diesem Baum. Die Vögel finden ein Zuhause.
Das Reich Gottes ist draußen im Garten und drinnen im Haus. Es wiederholt sich ständig, wie ein Backvorgang. Es entstehen aber auch neue Möglichkeiten, zum Beispiel für Vögel. Das Reich Gottes wächst und wird groß, wie ein Baum aus einem Senfkorn. Das Reich Gottes durchsäuert, verändert und verbessert den Teig, so, wie Sauerteig es tut. Eine Frau arbeitet, mit der Routine, die entsteht, wenn man etwas regelmässig macht. Ein Mann sucht sich einen Ort aus, im Garten, wo genügend Platz ist. Der Rest geschieht einfach.
Beide Bilder stehen für das Reich Gottes. Jedes dieser Bilder zeigt uns einen Teil der Wirklichkeit von Gottes Reich. Das Reich Gottes ist ein innerer und kontinuierlicher Vorgang wie bei einem Sauerteig. Man kann diesen Sauerteig schmecken und riechen. Das Reich Gottes ist aber auch ein äußerer und einmaliger Vorgang wie bei dem Senfkorn, aus welchem ein Baum entsteht. Unerwartete Dinge passieren. Eigentlich unbeteiligte Vögel bauen ihr Nest in den Zweigen des Baumes.
Wer weiß, wie Senf wächst, wird in diesem Text ein Problem erkennen. Schwarzer Senf, die größte Sorte, kann zwar mehrere Meter hoch wachsen, verholzt aber nicht. Aus einem Senfkorn wird also normalerweise kein Baum mit Zweigen. Aber der Kontrast zwischen dem Samen und der Pflanze ist groß. Ein Korn des Schwarzen Senfs ist nur etwa ein Millimeter groß. Die Pflanze, die aus dem Senfkorn wächst, wird bis zu drei Meter hoch. Im Vergleich zu anderen Pflanzen im Garten steht Senf relativ hoch.
Für das Gleichnis steht also das Wachstum im Vordergrund. Aus einem ziemlich kleinen Korn entsteht eine überraschend große Pflanze. Gut möglich, dass kleinere Vögel ihr Nest in eine Senfpflanze bauen. Gottes Reich kann recht unscheinbar sein, wie ein Senfkorn. Am Ende sind wir überrascht, was daraus wächst. Wir hätten nicht gedacht, dass eine so große Pflanze aus diesem kleinen Korn entstehen kann.
Vielleicht wollte Jesus aber bewusst ein Beispiel nehmen, mit dem sich so ziemlich jeder identifizieren kann. Statt einer uralten Deutschen Eiche hat Jesus als Beispiel ein schnell wachsendes Küchenkraut genommen. Als einjährige Pflanze muss Senf übrigens jedes Jahr neu wachsen. Also steht auch hier wieder das Wachstum an sich im Vordergrund, und nicht die am Ende erreichte Größe.
Das Reich Gottes wächst überraschend schnell. Das Reich Gottes durchdringt den ganzen Teig. Diese Eigenschaften sind im Senfkorn und im Sauerteig bereits angelegt. Sobald die äußeren Bedingungen passen, geschieht Wachstum und Durchsäuerung. Aber Gott, hier als Mann und als Frau abgebildet, weiß, was er tut. Die Bedingungen sind günstig. Das Senfkorn kommt in den Garten. Der Sauerteig wird mit dem Mehl vermischt. Das Ziel wird nicht nur erreicht, sondern sogar übertroffen. Vögel bauen ihr Nest in den Zweigen.
Viele von uns haben keinen Garten. Viele von uns backen ihr Brot nicht selbst. Damit fehlen uns Bilder, in denen positive Dinge von selbst passieren. Schnell sehen wir nur noch die Arbeit, die wir selbst leisten müssen. Wir pflanzen, gießen und kneten, und machen uns müde dabei. Doch wenn wir uns als Teil von Gottes Reich verstehen, ändert sich das Bild. Wir sind vielleicht so unscheinbar wie das Senfkorn. Wir sind nur der Rest vom letzten Backtag, wie der Sauerteig. Aber Gott schafft die nötigen Bedingungen, in denen wir wachsen und uns entwickeln können.
Am Ende finden Menschen ihr Zuhause bei uns. Wir hatten nie mit ihnen gerechnet. Aber jetzt sind sie da, und fühlen sich wohl. Das ist Reich Gottes. Es wächst. Es wird gut. Du darfst dazu gehören. Du darfst wachsen und Dich verändern. Jesus verwendet ganz alltägliche Bilder, um Dir dies zu zeigen. Du darfst Dich entwickeln. So wird immer deutlicher, dass Du ein Abbild Gottes bist. Kein Foto, sondern ein bewegtes Bild, im Wachstum begriffen.
Martin Pusch – Predigt gehalten am 16. März 2025.