Predigt-Blog

Hier schreibt unser Pastor Martin Pusch …

Kolosser 2,8–15 – Die Gefahr der Vereinnahmung

Bibeltext (BasisBibel)

8 Gebt acht, dass euch niemand in die Falle lockt! Weder durch seine Philosophie noch durch falsche Lehren, die nur auf menschlicher Überlieferung beruhen. Ihre Grundlage sind die Elemente dieser Welt – und nicht Christus! 9 In ihm ist die ganze Fülle Gottes leibhaftig gegenwärtig. 10 Und an dieser Fülle habt ihr Anteil, weil ihr zu Christus gehört. Der steht als Haupt über allen Mächten und Gewalten. 11 Er ist es auch, durch den ihr die Beschneidung empfangen habt. Allerdings ist das keine Beschneidung, die von Menschen vollzogen wurde. Sie besteht vielmehr darin, dass ihr eure menschliche Natur abgelegt habt. Das ist die Beschneidung, die uns Christus schenkt. 12 In der Taufe wurdet ihr mit ihm begraben. Mit ihm wurdet ihr auch auferweckt. Denn ihr habt an die Kraft Gottes geglaubt, der Christus von den Toten auferweckt hat. 13 Ja, ihr wart tot aufgrund eurer Verfehlungen. Und eure auf das Menschliche ausgerichtete Natur hatte die neue Beschneidung noch nicht empfangen. Aber Gott hat euch zusammen mit Christus lebendig gemacht, indem er uns alle Verfehlungen vergeben hat. 14 Er hat den Schuldschein getilgt, der uns belastete – einschließlich seiner Vorschriften, die gegen uns standen. Er hat ihn ans Kreuz angenagelt und damit beseitigt. 15 Er hat die Mächte und Gewalten entwaffnet und sie öffentlich zur Schau gestellt. Er führt sie im Triumphzug mit, der für Christus abgehalten wird.

Predigt

In seinem Brief hat Paulus bisher die Christen in Kolossä gelobt. Doch nun zeigt sich, dass Paulus auch besorgt ist. Schließlich ist die Gemeinde in Kolossä allen möglichen Einflüssen ausgesetzt. Hier müssen die Christen lernen, zu unterscheiden, was richtig ist, und was nicht.

Damals gab es das römische Reich. Dieses Reich war sehr groß, und umfasste viele Völker. Das verbindende Element war die Tatsache, dass alle den römischen Kaiser als Gott anerkannten. Eine Ausnahme gab es: Juden durften bei ihrem monotheistischen Glauben bleiben. Für das römische Reich waren die Juden kein großes Problem. Die Juden lebten zwar überall im römischen Reich, aber sie bildeten nur eine kleine Minderheit. Im Gegenzug für ihren religiösen Freiraum sollten sie aber für den Kaiser beten.

Für die christlichen Gemeinden ergab sich damit aber eine Herausforderung. Die jüdische Gemeinde konnte die Christen nicht akzeptieren, denn die Christen hielten sich nicht an das jüdische Gesetz. Die römische Obrigkeit konnte die Christen nicht akzeptieren, denn die Christen hielten den Kaiser nicht für einen Gott. Das ist die Spannung, in welcher sich die Gemeinden wiederfanden. Die Christen wurden von allen Seiten abgelehnt.

In der Apostelgeschichte lesen wir, wie die Christen sich langsam von der jüdischen Gemeinde entfremdeten. Die Apostel, inklusive Paulus, waren allesamt Juden. Doch dann kamen auch Menschen aus den Heiden zum Glauben. Mussten diese Heiden erst zu Juden werden, um sich dann zu Christus zu bekennen? Hier wurde entschieden: Nein. Das Heil liegt nicht im jüdischen Gesetz. Das Heil liegt in Jesus Christus. Jeder Mensch kann sich direkt an Jesus Christus binden. Damit war aber auch klar: Zwar konnten sich die Juden auf eine Ausnahme berufen und brauchten den Kaiser nicht als Gott anzubeten. Doch die Christen konnten sich nicht automatisch auf dieselbe Ausnahme berufen. So eine Ausnahme konnte auch nirgends beantragt werden. Christen mussten sich ihre Stellung zum Kaiser erst erarbeiten.

Vor diesem Hintergrund verstehen wir, dass Paulus die Gemeinden zum Gebet für die Obrigkeit aufgerufen hat. Christen können den Kaiser nicht als Gott anerkennen. Aber Christen können deutlich zeigen, dass ihre Treffen kein politisches Ziel haben. Es geht Christen darum, Gott mit ihrem Leben zu ehren. Hier, in der Beziehung zu Gott, hat das Gebet für die Obrigkeit seinen Platz.

Ab dem Jahre 380 haben sich die Verhältnisse gründlich verändert. Der christliche Glaube wurde zur Staatsreligion. Der Vorteil war, dass damit Christen nicht mehr verfolgt wurden. Doch wer ein Amt im Staat wollte, musste Christ sein. Mit der Zeit wurde der christliche Glaube auch mit Zwang durchgesetzt. Die Gute Nachricht von Jesus Christus sollte jedoch immer eine unabhängige Entscheidung ermöglichen.

Als Baptisten treten wir für die Glaubens- und Gewissensfreiheit des Menschen ein. Gesellschaftliche und staatliche Ordnung darf nicht verwechselt und vermischt werden mit dem Reich Gottes und der Gemeinde Jesu Christi. Darum treten wir ein für die Trennung von Staat und Kirche (siehe auch "Rechenschaft vom Glauben", Stand: 31. Mai 2019. Teil 2, Abschnitt II, Absatz 4: Die Christen in Gesellschaft und Staat).

Doch nun zurück zur Gemeinde in Kolossä. Es ist klar, dass Christen im römischen Reich mit Schwierigkeiten und sogar Verfolgung rechnen mussten. Beim Kaiserkult konnten Christen nicht guten Gewissens mitmachen. Die Ausnahme, welche für Juden galt, konnten Christen nicht automatisch für sich selbst reklamieren. Es hing also viel davon ab, wie die christliche Gemeinde am jeweiligen Ort in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde. Deshalb warnte Paulus die Gemeinden vor dem Gedanken, die Gesellschaft revolutionieren zu wollen. Männer und Frauen, Sklaven und Freie sollten sich in die Gesellschaft einordnen, und Veränderungen der Macht des Evangeliums überlassen.

Paulus warnt seine Leser vor einer falschen Lehre, die nur auf menschlicher Überlieferung beruht. Die Frage, die wir immer wieder stellen müssen, lautet also: Führt mich das, was gelehrt wird, zu Christus hin? Oder führt es mich von Christus weg?

In diesem Zusammenhang entlarvt Paulus die Philosophie als eine Täuschung. Wörtlich bedeutet Philosophie die Liebe zur Weisheit. So kann man sich natürlich Gedanken machen, ob es einen Gott gibt. Die nächste Frage ist, wie dieser Gott denn sein könnte. Doch am Ende bleibt dieser Gott von Menschen gedacht. Das ist vergleichbar mit Menschen, die einen Turm bauen, um den Himmel zu erreichen. Anders ist es, wenn Gott selbst Mensch wird, um sich den Menschen bekannt zu machen. Das ist genau, was Gott in Jesus Christus getan hat. Jesus Christus hat uns seinen Vater bekannt gemacht.

Paulus ist nicht gegen Bildung oder Philosophie. Aber wir dürfen menschliche Weisheit nicht mit göttlicher Offenbarung verwechseln. Durch Jesus Christus sind wir mit der ganzen Fülle Gottes verbunden. Hier kann keine Philosophie mithalten. Nichts reicht an die Fülle Gottes heran. Deshalb wiederholt Paulus in Vers 9 den Grundgedanken des Christus-Hymnus aus Kapitel 1: In Christus ist die ganze Fülle Gottes leibhaftig gegenwärtig. Christus ist der Kopf, das Haupt, der Erste.

Dieser Christus, in dem Gottes ganze Fülle gegenwärtig ist - dieser Christus erfüllt uns! (Vers 10) In der Philosophie geht es darum, gute Gedanken zu haben. Doch Christus gibt uns Anteil an der Fülle Gottes. Gleichzeitig ist Christus Herr über alle Mächte und Gewalten, denn der ganze Kosmos besteht durch ihn.

Wir haben schon über die Situation im Römischen Reich geredet. Von Juden wurde nicht erwartet, dass sie den Kaiser als Gott anerkannten. Es gab herumreisende jüdische Prediger. Die versuchten mitunter, eine ganze christliche Gemeinde zum Judentum zu führen. Aber: Um Jude zu werden, muss sich ein Mann beschneiden lassen. Hier stellt Paulus die Frage: Was davon sind menschliche Gedanken und Argumente? Und was kommt tatsächlich von Christus? Wenn Paulus hier im Kolosserbrief von der Beschneidung schreibt, dann knüpft Paulus gedanklich an eine Verheißung an, die bereits im 5. Buch Mose steht:

6 Der Herr, dein Gott, wird dein Herz beschneiden und das Herz deiner Nachkommen. Dann könnt ihr den Herrn, euren Gott, lieben, mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele. So wirst du das Leben haben. (5. Mose 30,6)

Dieser Gedanke findet sich auch noch an anderen Stellen im Alten Testament. Entscheidend ist nicht die äußerlich sichtbare Beschneidung, welche durch Menschen vorgenommen wird. Entscheidend ist, dass Christus unser Herz verändert. Hierfür nutzt Paulus zwei Bilder parallel: Die Beschneidung und die Taufe. Die Frage der Beschneidung wurde wohl oft von jüdischer Seite aufgebracht, um zu sagen: Euch fehlt noch etwas Entscheidendes. Paulus baut dieses Thema hier ein, um den Christen zu sagen: Euch fehlt überhaupt nichts, denn Christus schenkt uns alles.

Wichtig ist, Beschneidung und Taufe nicht einfach nur als einen äußeren Ritus zu verstehen. Es geht hier darum, dass wir tatsächlich die menschliche Natur ablegen. Wir geben unser altes Leben auf, um von Christus neues Leben zu empfangen. Das ist die Beschneidung des Herzens, von der schon Mose schreibt. Das ist auch die Taufe, denn in ihr geht es darum, mit Christus begraben zu sein und mit Christus von den Toten auferweckt zu werden. Entscheidend ist, dass wir dabei nicht auf uns selbst vertrauen, sondern dass wir an die Kraft Gottes glauben, der Christus von den Toten auferweckt hat (Vers 12).

Als Jesus von einer Sünderin gesalbt wird, da sagt Jesus:

47 … Ihre vielen Sünden sind ihr vergeben. Darum hat sie so viel Liebe gezeigt. Wem aber wenig vergeben wird, der zeigt auch nur wenig Liebe. (Lukas 7,47)

Es kann uns also nur helfen, nachzudenken, wo wir heute ohne Jesus wären. Paulus schreibt: “Ihr wart tot aufgrund eurer Verfehlungen.” Denn je länger wir mit Jesus unterwegs sind, desto selbstverständlicher wird uns all das, was Gott uns schenkt. Wir bekommen mehr und mehr das Gefühl, es auch nicht anders verdient zu haben. Doch indem Gottes Geschenk für uns an Wert verliert, wird auch unsere Liebe zu Gott kleiner und kleiner. Doch ohne Gottes Eingreifen hätten wir das Leben nicht. Wir verdanken alles, was wir sind, Gott. Gott hat uns zusammen mit Christus lebendig gemacht. Gott hat uns unsere Schuld vergeben. Der Schuldschein ist getilgt. Die Anklageschrift ist ausgewischt. Die Anklageschrift, die uns belastete, ist ans Kreuz genagelt. Diese Aussage erinnert an die Praxis, über dem Gekreuzigten ein Schild zu befestigen mit der Anklage. Auf diesem Schild steht unsere Schuld. Gekreuzigt wurde dafür Jesus Christus. Damit hat Gott diese Anklageschrift aus dem Weg geräumt. Es steht nichts Trennendes mehr zwischen Gott und Mensch.

Durch Kreuz und Auferstehung hat Christus den Tod besiegt. Der Tod ist damit nicht mehr das Ende. Der Tod wird zum Durchgang zum Leben. Damit sind die Mächte und Gewalten Christus unterworfen. Der Tod hat keine endgültige Macht mehr über die Menschen. Die Mächte und Gewalten verlieren ihren Schrecken, denn sie sind besiegt.

Paulus stellt hier zwei Dimensionen des Sieges Christi nebeneinander: Wir sind, jeder für sich, mit Christus lebendig gemacht. Gleichzeitig hat Christus Mächte und Gewalten entwaffnet und triumphiert über sie. Angesichts dieser kosmischen Dimension des Sieges von Jesus Christus nehmen sich die Errungenschaften menschlicher Überlieferung doch recht mickerig aus. Menschliche Lehre, auch wenn sie richtig sein sollte, kann einfach nicht mithalten mit den großen Zusammenhängen, die Gott hier in Ordnung bringt.

Eine Sache möchte ich noch ergänzen. Wenn wir von der Kreuzigung von Jesus reden, dann gibt es einen Punkt, der oft undeutlich bleibt. Ich versuche, ihn zu schildern. Es wird beispielsweise gesagt, dass Gott die Menschen zwar liebt, aber gleichzeitig ist Gott auch gerecht. Deshalb musste jemand die Schuld auf sich nehmen. Das hat der Sohn Gottes getan und ist am Kreuz für uns gestorben. Doch der Kolosserbrief betont: In Christus ist die ganze Fülle Gottes leibhaftig gegenwärtig (2,9; siehe auch 1,19). Es wird also nicht funktionieren, Gott und Christus voneinander zu trennen. Gott war in Christus (2. Korinther 5,19) – auch während seiner Zeit hier auf der Erde. In Christus ist Gott in seiner ganzen Fülle gegenwärtig. Gott selbst ging in den Tod, um uns zu retten.

Gleichzeitig stellt der Kolosserbrief unsere individuelle Rettung in den Kontext von Gottes kosmischem Handeln. Der Kosmos ist ja das von Gott geschaffene und geordnete Universum. Diese kosmische Dimension vergessen wir oft, und denken nur an unsere persönliche Errettung. Doch wir leben in einem Universum, welches vollständig in Christus besteht. Gottes Plan ist größer als nur unsere persönliche Errettung. Vielleicht hilft uns das, unseren Alltag in Gottes Dimension zu sehen und zu verstehen. Wir sind Teil von Gottes Plan, den ganzen Kosmos mit ihm zu versöhnen. Dieser Blick Gottes für das Ganze ist gemeint, wenn wir im Kolosserbrief lesen:

19 Denn so hatte es Gott beschlossen: Mit seiner ganzen Fülle wollte er in ihm gegenwärtig sein. 20 Und er wollte, dass alles durch ihn Versöhnung erfährt. In ihm sollte alles zum Ziel kommen. Denn er hat Frieden gestiftet durch das Blut, das er am Kreuz vergossen hat. Ja, durch ihn wurde alles versöhnt – auf der Erde wie im Himmel. (Kolosser 1,19-20)


Martin Pusch – Predigt gehalten am 16. November 2025.